Der Frage, was nach dem körperlichen Ableben „mit mir“ passiert, spürten die Teilnehmenden am Kirchgemeindeausflug der evang. Kirchgemeinde Vaz/Obervaz in Zürich nach. Die Einstimmung bildete eine inspirierende Ausstellung von Bildern des Malers George Gessler (1924-2012) im Krematorium Nordheim. Gessler thematisierte als einer der wenigen Künstler seiner Zeit oft den Tod – und zwar als Teil des Lebens. Dies kam unter anderem daher, dass der Maler einen Sohn bei einem tragischen Autounfall viel zu früh verlor und diese Erfahrung in seinen Bildern immer wieder verarbeitete.
Die Nahtod-Expertin Dr. Magdalen Bless-Grabher zeigte auf, wie sich die Kunst und die Gesellschaft über die Zeit hinweg mit dem Sterbenmüssen befassten: Die Römer, indem ihre Anführer bei Triumphzügen nonstop an ihren möglichen Tod erinnert wurden („memento mori“), das Mittelalter, in dem die Darstellungen des Jüngsten Gerichts in den Kirchen sehr verbreitet waren, die Pest-Zeit, in der viele Bilder Totentänze zeigten (den Tod als Person, der eine lebendige Person „abführt“). Als die Menschheit im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer stärker an ihre eigenen Fähigkeiten zum Fortschritt zu glauben anfing, verschwand der Tod aus der Kunst und zunehmend auch aus der Gesellschaft. Zu sterben, wurde nun nicht selten als Niederlage gesehen und verdrängt. Erst in der allerneusten Zeit ändere sich dies wieder, erklärte Dr. Bless-Grabher. Der Maler George Gessler jedoch widersetzte sich beharrlich diesem Trend zur Verdrängung.
Dr. Bless-Grabher weiss, wovon sie spricht: Sie erlebte als Kind einen „tödlichen“ Autounfall (im gleichen Jahr wie der Sohn des Malers – sie war sogar gleich alt). Während sie leblos in einem Erdbeerbeet lag, ging ihre Seele auf eine faszinierende Reise in verschiedenen Phasen. Dazu gehörte, dass sich ihr Bewusstsein erweiterte in Dimensionen, die wir Menschen auf dieser Erde gar nicht erfassen könnten. Es gehörte dazu, dass sie sich selber im Erdbeerbeet liegen sah, während sie sich von der Szene entfernte. Es gehörte dazu, dass sie Verstorbene wiedersah und zwar jung, gesund und schön. Und dass ihr Leben wie im Zeitraffer vorbeizog, und sie es endlich bewerten konnte – und zwar in den Kategorien „lieblos“ und „liebevoll“, voller Verzeihung für das Lieblose. Dass ein Fluss sie forttrug. Und dass ein grosses, liebendes Licht auf sie wartete.
Sie hätte dieser Erde mit ihren vielfältigen Beschränkungen problemlos ade gesagt und sich in das liebevolle Licht begeben, wäre nicht die Stimme ihres verzweifelten Vaters zu ihr vorgedrungen die sie überzeugte, sich auf diese Welt zurückzukämpfen. Sie lebe seither gern und fröhlich, sagte Magdalen Bless-Grabher, ihr Leben sei ein wahres Geschenk. Doch Angst vor dem Tod zu haben, das falle ihr auch nicht mehr ein.
Sie versuchte nach dem Unfall, von ihren Erlebnissen zu erzählen, stiess aber auf derart viel Unverständnis, dass sie es fortan bleiben liess. Beharrlich hielt die Medizin an ihrer Idee fest, dass der Hirntod das Ende des lebendigen Menschen bedeute. Erst Mitte der siebziger Jahre kam in den USA Nahtodforschung auf, die ihr zeigte, dass ihre Erlebnisse typisch gewesen waren für Menschen, die „klinisch tot“ sind, aber danach zurück ins Leben finden. Seither wird die Idee langsam auch wissenschaftlich salonfähig, dass „die Seele“ eines Menschen eventuell nicht ein Produkt seines Hirns sei, sondern das Hirn nur das Medium, durch das „die Seele“ auf dieser Welt in Erscheinung tritt.
Die Teilnehmenden am Ausflug der Kirchgemeinde hatten beim Apéro danach und auf der Heimfahrt im Car viel Gesprächsstoff. Pfrn. Claudia Gabriel erläuterte kurz, welche Bibelstellen ihr bei dem Vortrag durch den Kopf gegangen waren, in denen sich Aussagen von Dr. Bless-Grabher spiegeln. Und dass die mittelalterlichen Darstellungen von Himmel und Hölle nicht 1:1 in der Bibel vorkommen, sondern später aus verschiedenen Textstücken zusammengesetzt wurden.